Graublau hat heute einen längeren Text zur Hollaback-Kampagne geschrieben.
Er zeigt, dass diese Kampagne letztlich auf eine Verschärfung des Sexualstrafrechts zielt. Ich sehe darin letztlich ein Symptom für die Schwäche des Denkens in ausschließlich negativen Freiheiten.
Das Beispiel zeigt, dass das Freiheitsthema sehr wichtig ist. Schoppe und Leszek haben auf meinem Blog darauf hingewiesen, dass die Definition positiver Freiheiten Gefahren berge und dass die liberale Denktradition deshalb eher negative Freiheiten formuliere.
Aber hier gibt es auch eine Gefahr: Negative Freiheiten führen letztlich auch zu Normenkatalogen und können in der Konsequenz zu Freiheitseinschränkungen führen. Der Feminismus, so wie er in Hollaback zum Ausdruck kommt, formuliert im wesentlichen negative Freiheiten. Er möchte eine Freiheit von etwas, etwa der Freiheit davon, belästigt zu werden. Passend dazu ist der Feminismus wesentlich eine Form der Kritik, also der Fehlersuche. Feminismus geht prinzipiell davon aus, dass es Normen gibt, die einschränken. Daher sucht er überall nach diesen Einschränkungen. Was man positiv wollen und sein kann, kann und will der Feminismus nicht sagen, dies wäre ja wiederum eine Norm. Worüber er sich quantitativ aber am meisten auslässt, sind Missstände, vermeintliche Herrschaftsverhältnisse, unterdrückende Normen, von denen man sich befreien muss – all dies ist stets und ständig das Beschwören einer negativen Freiheit, einer Forderung nach Abschaffung von Zumutungen, von denen man immer wieder neue findet.
Wir wir bei Hollaback, deren Anliegen der VErschärfung des Strafrechts bis hin zu Heiko Maas sehen, münden diese negativen Freiheiten in einem umfassenden Normenkatalog. Ich habe gestern einige Kampagnenseiten zum Thema Definitionsmacht gelesen. Diese entwickeln umfassende Verhaltensnormen, die alle dazu dienen, etwas von Personen wegzuhalten, ihnen Zumutungen zu ersparen, also negative Freiheiten zu beschreiben.
All das ist mit dem liberalen Denken offenbar sehr gut vereinbar, weil es sich auf nur negative Freiheitsverständnisse kapriziert, ohne zu reflektieren, wie normensetzend negative Freiheiten sind. Jede Maßnahme zur Abwehr von Zumutungen ist letztlich ein Eingriff, der normensetzend und begrenzend wirkt. Kurz: Die Realisierung von negativen Freiheiten schafft wiederum Normen, die man (insbesondere: Mann) dann wiederum als Zumutung erfährt, so dass man im Grunde hier wiederum negative Freiheiten einfordern müsste.
Diese Art des Denkens vermag es offenbar nicht, die Normensetzungswut im Zaume zu halten, was gewiss auch daran liegt, dass ihm eine positive Vorstellung davon fehlt, was ein Mensch sein kann und sein will. Es kennt nur die Devise, dass jeder machen können soll ohne Zwang.
Ich sehe das Problem einer positiven Freiheitsbestimmung, aber ohne eine solche wird man die Radikalisierung der Normensetzung durch negative Freiheiten nicht bremsen können. Das hat sogar eine psychologische Komponente. Der Feminismus kritisiert hauptsächlich, beschreibt vermeintlich unhaltbare Zustände, er hält sich nahezu ausschließlich damit auf, Schlechtigkeiten darzustellen. Dem Rezipienten bleibt da nur die Erkenntnis, in einer äußerst feindlichen Welt zu leben, für deren Probleme es eigentlich kaum Rezepte gibt. Diese kennt der Feminismus nämlich nicht, weil er letztlich in ein vollkommen abstraktes und komplett unbestimmtes Bild des Individuums flüchtet, das eigentlich allein dadurch bestimmt ist, dass es nicht durch Normen zu etwas gezwungen wird. Eine solche Sichtweise, letztlich die Konsequenz des Denkens in negativen Freiheiten, bietet keine Orientierung, aber viel Anlass, alles schlecht zu finden, sich permanent bedroht zu fühlen. Sie kann nichts positives bilanzieren. Schließlich würde ja jede positive Beschreibung wiederum normieren und somit letztlich auch wieder ein Zwang werden.
Wahrscheinlich ist der Maskulismus auch deshalb so sprachlos gegenüber den permanenten Forderungen nach strengeren Verhaltensnormen für Männer. Der Wert der Emanzipation erscheint unstrittig und richtig und niemand kann da etwas gegen haben. Doch jede Emanzipation muss sich in einer realen Umwelt in realen Aktionen ausdrücken und sie braucht darum auch Handlungsmodelle, die wiederum natürlich auch normiert sind, regelhaft, weil Rezepte nun einmal regelhaft sind. Hier kann man dann streiten, welches konkrete Modell etwas taugt oder wünschenswert ist. Der “Trick” des Feminismus ist es aber, auf einen komplett unbestimmten und damit kaum kritisierbaren Emanzipationsbegriff zu rekurrieren, der dann aber eine permanente Forderung nach neuen negativen Freiheiten nach sich zieht. Denn in seiner Unbestimmtheit bietet dieser BEgriff kein Kriterium, wann Emanzipation als Forderung erfüllt sein kann. Insofern ist er eine permanente Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für feministische Moralunternehmer und zugleich die Falle für Männerrechtler.
Edit: Graublau wies darauf hin, dass zumindest Hollaback keine Verschärfung des Strafrechts anstrebt.
Letztlich sehen wir aber aktuell mit der Neufassung des Vergewaltigungsparagrafen, dass es schon feministische Lobbygruppen gibt, die den Weg der Strafrechtsverschärfung gehen. Wahrscheinlich ist das für das Thema nicht so wichtig. Verhaltensnormen können via Gesetz oder via Hausordnung (z.B. in Unis) durchgesetzt werden. Wer sich ein Bild von der Rigorosität solcher Normen machen möchte, schaue hier:
Zustimmung bedeutet immer wieder und jedes einzelne Mal und für jede sexuelle Handlung zu fragen, also zum Beispiel, ob es einer Person angenehm ist, wenn ihr euch küsst, umarmt, streichelt, du ihr den Rücken kraulst…
@Lomi
»Ich sehe das Problem einer positiven Freiheitsbestimmung, aber ohne eine solche wird man die Radikalisierung der Normensetzung durch negative Freiheiten nicht bremsen können.«
Wie geht man mit der moralischen Radikalisierung des Feminismus um? Schoppe hat am Beispiel der Odenwaldschule und Lena Dunham sehr schön und gründlich gezeigt, worin diese feministische »Moral« besteht: in *Doppelmoral*! Insofern scheint mir, dass die Debatte um negative und positive Freiheit der feministischen Ideologie eine viel zu große »Schöpfungshöhe« zugesteht. Crumar hat das ebenso treffend wie schneidend kommentiert: mit Intellektualität hat das alles überhaupt nichts mehr zu tun. Die Standards redlichen Denkens befinden sich im Feminismus im freien Fall! Ihm auf der Ebene konsistenter Theorien zu begegnen, ist m. E. daher bereits ein Fehler.
Das gilt auch für den Rekurs auf den Emanzipationsbegriff. Inwieweit ist der heutige Feminismus noch auf Emanzipation bezogen? Das ist völlig gleichgültig, denn er ist wenn, dann auch auf diesen Begriff über Doppelstandards bezogen. Der Feminismus ist intellektuell tot, aber der Tod traut sich nicht, es ihm zu sagen! Und darin sehe ich den Kern des Problems.
Die Brüchigkeit des in der publizistischen Öffentlichkeit *noch* hegemonialen feministischen Diskurses lässt sich ja mit Händen greifen, wenn in der ZEIT wüste Rants veröffentlicht werden können und andere Tageszeitungen (»Süddeutsche«?) im Zweifelsfall die Kommentarspalten dichtmachen. Das zeugt von Nervosität und Krisenbewusstsein. Für mich stellt sich daher die Frage, wie man diesen hegemonialen Diskurs am effektivsten weiter angreift. Und das ist nur noch bedingt ein theoretisches Problem – eher sehe ich es als Problem, wie man die »Diskursmasse« eines maskulistischen Gegendiskurses so weit erhöht, dass sie *kritisch* wird und den Sprung aus der eigenen Filterblase schafft.
Ja und nein.
Ich stimme Dir zu, dass die Gewinnung einer “kritischen Masse” an Widerspruch der wesentliche Erfolg wäre. Schließlich werden politisch wirksame Sozial”theorien” nicht aufgrund von Argumenten unterstützt oder abgewählt, sondern weil sie zum Lebensgefühl passen oder eben nicht mehr. Die Hoffnung der Brechung der Hegemonie ruht daher in der Tat nicht allein auf besseren Argumenten.
Der Diagnose der Doppelmoral stimme ich auch zu. Allerdings halte ich dies dann doch für einen Kurzschluss. Ja, redliches Denken findet dort nicht mehr unbedingt statt. Aber nein, wissenschaftliche Standards spielen für derartige Gemeinschaften auch nicht die große Rolle. Redlichkeit bemisst sich ja hier an der Konsistenz. Doch solche Konsistenzforderungen fallen diesen Leuten als Problem nicht auf, weil sie gar nicht diese Standards als Ausgangspunkt haben. Ihr Ausgangspunkt ist eine Moral.
Diese Moral erlaubt das Verkleistern von – für uns – offenkundigen Widersprüchen. Sie erlaubt es, den Glauben an das “Gute” und an die Richtigkeit der eigenen Gruppe aufrechtzuerhalten.
Ich glaube nämlich nicht, dass die Doppelmoral eine Strategie ist. Bei einigen schon. Bei vielen Leuten wird es eher unreflektierte SChattenseite eines festen Glaubenskanons sein. Die von mir konsultierten Defma-Seiten strotzen vor Überzeugung, das Richtige zu tun. Ich denke, dass sie innerhalb ihrer Peer-Group sich dessen sehr sicher sind und auch glauben, dass sie diesbezüglich aufrichtig dem Guten nachstreben. Insofern ist die Doppelmoral vielleicht ein Irrtum, aus der Sicht rationaler Theoriekonstruktionen, aber sie ist nicht zwingend eine Lüge.
Damit meine ich, dass man diese Szene wie andere Szenen auch eher hermeneutisch betrachten müsste und dass man mit einer Bewertung der scheinbaren Irrationalität oder Inkonsistenz ihres Denkens nicht erfasst, warum diese Szene hartnäckig am Ball bleibt.
Nicht zuletzt plädiere ich deswegen für einen Freiheitsbegriff, um ein attraktives Angebot zu machen, das überzeugt und eben nicht nur Kritik formuliert (also negatives aussagt).
“Schließlich werden politisch wirksame Sozial”theorien” nicht aufgrund von Argumenten unterstützt oder abgewählt, sondern weil sie zum Lebensgefühl passen oder eben nicht mehr. Die Hoffnung der Brechung der Hegemonie ruht daher in der Tat nicht allein auf besseren Argumenten.”
Um das mit dem zu verknüpfen, was ich weiter unten schrieb:
4. Aufzeigen, wo zu Ende gedachte Forderungen (entweder konsequent angewandt oder tatsächlich schon so formuliert) hinführen und wie das dem Lebensalltag und der wahrgenommenen Realität vieler Leute widerdspricht. Das von mir am häufigsten beobachtete Argument von Frauen gegen Feminismus war nicht “Die armen Männer!”, sondern “Aber so ist meine Welt doch gar nicht!”.
@Lomi:
»Doch solche Konsistenzforderungen fallen diesen Leuten als Problem nicht auf, weil sie gar nicht diese Standards als Ausgangspunkt haben. Ihr Ausgangspunkt ist eine Moral.«
Ideologien stellen m. E. eine spezielle Verbindung von Konsistenzstandards und Moral her. Die Moral ergibt sich aus einer politischen Zielsetzung, und die Konsistenzforderung ist in der Ausgangsproblemstellung meistens zu erfüllen. Die Widersprüche entfalten sich aufgrund einer inhärenten Dynamik:
»Ich glaube nämlich nicht, dass die Doppelmoral eine Strategie ist.«
Das hatte ich nicht behaupten wollen. Sondern ich halte Doppelmoral für eine nicht reflektierte Art, mit ideologie-internen Widersprüchen umzugehen. Es ist ein Rückkoppelungsmechanismus: Ideologien sind inhärent eminent pragmatisch; auf das Erreichen politischer und gesellschaftlicher Ziele geprägt. Sie sind darin von Anfang an gewissermaßen systematisierte Halbwahrheiten. Am Anfang hilft diese Vereinfachung, eine Fokussierung auf eine konkrete Aufgabe vorzunehmen, und üblicherweise liegt dieser Zielsetzung eine reale Deprivationslage zugrunde. Eine Ideologie wird konsistent durch ihren Bezug auf die von ihre hervorgebrachte politische Praxis, sie dient der Innensteuerung dieser Praxis, nicht in erster Linie der Produktion wissenschaftlicher Wahrheiten.
Das Hauptproblem jeder Ideologie entsteht dementsprechend aus ihren Teilerfolgen: sie erzwingt eine Operationalisierung der Prämissen auf einen neuen oder erweiterten Gegenstand. Es ist der politische Erfolg selbst, der eine Ideologie mit Inkonsistenz bedroht, weil ihre Vereinfachungen jetzt nicht mehr in der ursprünglichen Form zutreffen. In diesem Fall büßt sie einerseits an Massenlegitimation ein und wird andererseits zu einer inneren Radikalisierung getrieben. Damit entfernt sie sich zusehends von der Realität. Aber im harten Kern der Bewegung wird die pragmatische Rechtfertigung der eigenen Vereinseitigungen weiterhin gesucht. Darin besteht die Rückkoppelung.
»Damit meine ich, dass man diese Szene wie andere Szenen auch eher hermeneutisch betrachten müsste und dass man mit einer Bewertung der scheinbaren Irrationalität oder Inkonsistenz ihres Denkens nicht erfasst, warum diese Szene hartnäckig am Ball bleibt.«
Ich denke, diese Szene bleibt nur darum noch am Ball, weil sie immer noch positive öffentliche Resonanz hervorrufen kann, auch wenn dieser Resonanzkörper die ersten Sprünge aufweist und Dissonanzen zu erzeugen beginnt. *Noch* kann sie ihr Weltbild in der öffentlichen Echokammer bestätigt finden – darum geht die Kritik am Feminismus ja auch mit einer Kritik am Journalismus einher. Sobald dieser Resonanzkörper zerbricht, wird der Feminismus kollabieren, und dann wird man auch feministische Institutionen wie zum Beispiel die hyperthrophen Genderforschungsbereiche oder sexistische Gesetzgebung schleifen und abwickeln können.
“Die Brüchigkeit des in der publizistischen Öffentlichkeit *noch* hegemonialen feministischen Diskurses lässt sich ja mit Händen greifen, wenn in der ZEIT wüste Rants veröffentlicht werden können und andere Tageszeitungen (»Süddeutsche«?) im Zweifelsfall die Kommentarspalten dichtmachen. Das zeugt von Nervosität und Krisenbewusstsein. Für mich stellt sich daher die Frage, wie man diesen hegemonialen Diskurs am effektivsten weiter angreift. Und das ist nur noch bedingt ein theoretisches Problem – eher sehe ich es als Problem, wie man die »Diskursmasse« eines maskulistischen Gegendiskurses so weit erhöht, dass sie *kritisch* wird und den Sprung aus der eigenen Filterblase schafft.”
Feuer mit Wasser bekämpfen.
1. Jeden durchgeknallten Fall dokumentieren und für diejenigen, die nicht im Thema drin sind, allgemein verständlich und kurz und bündig zusammenfassen. Bei diesen Fällen ist dann leicht nachvollziehbar, warum sie Mist sind.
2. Aufzeigen, wo Forderungen ohne Maß hinführen: Konflikt mit Meinungsfreiheit und Rechtsstaat. Inzwischen liefern radikale Feministinnen die Belege schon von sich aus frei Haus. Damit sind viele Leute abschreckbar.
3. Ansprechbar und zitierfähig sein. Je mehr ich irgendwo rumrante und Spezialvokabular benutze, desto mehr entferne ich mich von der Lebenswirklichkeit (und auch der Lesefähigkeit) weiter Teile der Bevölkerung. Einen knackig formulierten Text kann ich auch außerhalb einer eingelesenen Filterblase herumreichen. Und nebenbei erscheine ich selbst des Fanatismus gleich viel weniger verdächtig, wenn meine Werke vom gesunden Menschenverstand durchdrungen scheinen.
Das ist kein Frontalangriff, sondern ein Konzentrieren auf die leichten Ziele, die man als erstes und nächstes erreichen sollte. Man schält also eher links und rechts eine Schicht ab, anstatt gleich in die Mitte vorzustoßen.
“Einen knackig formulierten Text kann ich auch außerhalb einer eingelesenen Filterblase herumreichen” Ja, das stimmt. Solche Texte sind sehr wertvoll.
“Er zeigt, dass diese Kampagne letztlich auf eine Verschärfung des Sexualstrafrechts zielt. Ich sehe darin letztlich ein Symptom für die Schwäche des Denkens in ausschließlich negativen Freiheiten.”
“Wir wir bei Hollaback, deren Anliegen der VErschärfung des Strafrechts bis hin zu Heiko Maas sehen, münden diese negativen Freiheiten in einem umfassenden Normenkatalog.”
Interessant, das sehe ich eigentlich gar nicht so. Denn die Verschärfung (§177, siehe auch den Artikel “Schluss mit der Debatte um eine Schutzlücke!“) spielt hier gar keine Rolle.
“Er möchte eine Freiheit von etwas, etwa der Freiheit davon, belästigt zu werden.”
Ich sehe hier aus anderen Gründen zwei Probleme (ich bin aber kein großer Rechtstheoretiker, man möge mir verzeihen):
1. Die hier formulierte negative Freiheit ist bezieht sich auf das Handeln von Privatpersonen. Die üblichen Grundrechte sind hingegen gegenüber dem Staat formuliert. Ich habe also etwa das Recht darauf, nicht vom Staat belästigt zu werden, indem sich dieser ungefragt in mein Leben einmischt. Wo eine solche Einmischung effektiv anfängt, darüber kann man dann wieder diskutieren. Libertäre meinen, Steuern zu verlangern wäre bereits zuviel. Andere vertreten die Meinung, der Staat darf nicht verhindern, dass ich andere Leute damit beauftrage, mich umzubringen (aktive Sterbehilfe).
2. Die hier formulierte Freiheit ist effektiv nicht durchzusetzen. Das hängt natürlich eng mit der Nichterfüllung von Punkt 1 zusammen. Der Staat könnte Punkt 2 tatsächlich erfüllen, wenn die Belästigung von ihm ausgehen würde. Nicht zuletzt durch Konzepte wie Gewaltenteilung soll ein Ausufern staatlicher Aktivität begrenzt werden. Aber auch so etwas wie ein Whistleblowerschutz ginge in diese Richtung. Wie der Staat hingegen einzelne Bürger voneinander schützen (und zwar generell, nicht in vorher bekannten Kombinationen), das übersteigt meine Kenntnis. Die mir bekannten vorgeschlagenen Lösungen liefen alle darauf hinaus, dass der Staat sich eben doch in das Privatleben seiner Bürger einmischt. Der Teufel wird also mit dem Beelzebub ausgetrieben.
“Feminismus geht prinzipiell davon aus, dass es Normen gibt, die einschränken. Daher sucht er überall nach diesen Einschränkungen. Was man positiv wollen und sein kann, kann und will der Feminismus nicht sagen, dies wäre ja wiederum eine Norm. Worüber er sich quantitativ aber am meisten auslässt, sind Missstände, vermeintliche Herrschaftsverhältnisse, unterdrückende Normen, von denen man sich befreien muss – all dies ist stets und ständig das Beschwören einer negativen Freiheit, einer Forderung nach Abschaffung von Zumutungen, von denen man immer wieder neue findet.”
Der Feminismus nach Hollaback ist eine ganz bestimmte Sorte des radikalen Feminismus. Hier wird menschliche Interaktion grundsätzlich als Ausdruck von Machtverhältnissen gedeutet. Gleichzeitig herrscht immer eine klare Schieflage von Macht (also etwa: alle Männer sind mächtiger als alle Frauen). Es ist also ein (negatives) Krieg-der-Sterne-Szenario: Die Macht umgibt uns und durchdringt alles, was lebt. Das ist die entscheidende Grundvoraussetzung dafür, dass man nicht nur ständig etwas Schlechtes finden kann, sondern dass man es auch eigentlich muss! Denn wenn man bei der Annahme einer solch verkorksten Welt nicht ständig auf Missstände stößt, muss mit einem selbst ja etwas nicht in Ordnung sein! Daher hat im Zweifelsfall der recht, der mehr Missstände findet. Deswegen kann auch eigentlich nie etwas “gut genug” sein, denn irgendjemand anderes wird schon etwas finden, was an einer konkreten Lösung X-istisch ist (X: rass/klass/able/sex/usw.).
“All das ist mit dem liberalen Denken offenbar sehr gut vereinbar, weil es sich auf nur negative Freiheitsverständnisse kapriziert, ohne zu reflektieren, wie normensetzend negative Freiheiten sind. Jede Maßnahme zur Abwehr von Zumutungen ist letztlich ein Eingriff, der normensetzend und begrenzend wirkt. Kurz: Die Realisierung von negativen Freiheiten schafft wiederum Normen, die man (insbesondere: Mann) dann wiederum als Zumutung erfährt, so dass man im Grunde hier wiederum negative Freiheiten einfordern müsste.
Diese Art des Denkens vermag es offenbar nicht, die Normensetzungswut im Zaume zu halten, was gewiss auch daran liegt, dass ihm eine positive Vorstellung davon fehlt, was ein Mensch sein kann und sein will. Es kennt nur die Devise, dass jeder machen können soll ohne Zwang.”
Das kann aber nur deswegen ausarten, weil man aufgrund des angenommenen schiefen Machtverhältnisses zwischen Männern und Frauen fordert, dass Frauen zu entscheiden haben, was richtig ist, und Männer nicht mitreden dürfen. Ansonsten hätten wir den typischen Prozess, dass verschiedene Gruppen mit ihren Interessen aufeinander prallen und erst einmal ausgehandelt werden muss, wer was darf und wessen Recht in welchem Fall schwerer wiegt.
Natürlich, die Annahme des allgegegenwärtigen Patriarchats rechtfertigt eine “Definitionsmacht” von Frauen.
Dennoch, es ist auch ohne solche Konstruktionen möglich, einen permanent wachsenen Normenkatalog zu entwickeln, einfach nur, um “Schutzlücken” zu schließen (nicht juristisch, aber lebensweltlich). Solche Schutzlücken zeigen sich überall dort, wo einem Unangenehmes zustoßen kann. So hatte der BGH-Richter Thomas Fischer auch kommentiert, Schutzlücken könnte man eigentlich endlos finden. Genau das tut der Feminismus, das tut aber auch der Intersektionalismus und alle diese Bewegungen, die permanent Benachteiligungen und Diskriminierungen zu entdecken meinen.
Klar, das gelingt freilich nur über die Privilegierung von “Opfer”-Gruppen, aber dahinter steckt eigentlich eine Privilegierung des Subjekts mitsamt uneingeschränkter Subjektivität des Urteils, das sich einer rationalen Bestimmung und Vereinbarung von Begriffen verweigert.
Was ist negative/positive Freiheit?
Negative Freiheit meint, in der Regel bezogen auf den Staat: Man darf einen Menschen nicht an der Religionsausübung hindern, an der freien Meinungsäußerung usw.
Eine positive Freiheit müsste letztlich etwas beschreiben, wozu ich frei bin: Was darf ich konkret tun?
Ich gebe zu, dass ich hier nicht sehr sattelfest mit den Begriffen bin.
Nur noch als kleine Illustration hinterhergeschoben, auch, weil es mich immer etwas fassungslos werden lässt:
“Sexuelle Gewalt ist konstitutiver Kern und strukturelles Merkmal der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung, über die Menschen erst zu Männern und Frauen gemacht werden. Sexuelle Gewalt findet alltäglich und in den verschiedensten Formen statt. Es ist eine gesellschaftlich verankerte Praxis, in der männliche Macht immer wieder erzeugt wird und Frauen in einem Zustand der Angst und Minderwertigkeit gehalten werden sollen.
Nicht alle Männer wollen dem Ideal der hegemonialen Männlichkeit entsprechen oder werden sexuell gewalttätig. Die Vorherrschaft dieser Männlichkeitsform reproduziert jedoch eine Gesellschaftsordnung, in der die überwiegende Mehrzahl der Männer von der Unterwerfung des Weiblichen profitiert. Dieses Gewaltverhältnis ist strukturell geschlechtsspezifisch, wobei konkrete Täterschaft durch Frauen nicht auszuschließen ist . Sexuelle Gewalt ist im Grundverständnis der bestehenden Gesellschaftsstruktur verankert und es findet eine permanente Reproduktion der Voraussetzungen für potentielle und manifeste Täterschaft statt.
Vergewaltiger sind keine abnormen oder gestörten Persönlichkeiten, die sich von anderen Männern deutlich unterscheiden würden. Sexuelle Übergriffe sind Praxen einer Machtdemonstration, die einem ‚normalen’, jedenfalls in der Mehrheitsgesellschaft aber auch innerhalb der ‚Linken’ breit akzeptierten Männlichkeitsbild entsprechen und gesellschaftlich geduldet werden.”
http://asbb.blogsport.de/2008/03/23/when-my-anger-starts-to-cry/
Das illustriert natürlich Graublaus Aussage, dass die Definitionshoheit der Frauen über die Theorie allgegenwärtiger Männermacht abgesichert wird.
Noch mehr Illustration: Das Ziel der “Freiheit von…” und seine Konsequenz, der verschärfte Verhaltenskatalog:
“Eines vorneweg: Unser Anspruch ist, einen Ort zu schaffen, der soweit frei von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie ist, wie es angesichts einer strukturell diskriminierenden Gesellschaft möglich ist.
Sexistische Diskriminierung, pornographische Reduzierung insbesondere gegenüber Frauen, blöde Sprüche und Anmachen oder körperliche Übergriffe in Form von ungefragtem und ungewollten Berühren, aufdringlichem Antanzen etc. sind Alltagserfahrungen vieler Menschen. Übergriffe passieren leider tagtäglich- in Fußgängerzonen, Bussen und Bahnen, in Diskotheken und sonstwo. Diesen Zustand nicht hinzunehmen ist ein Anliegen des Autonomen Zentrums (AZ) Köln. Sexistisches Verhalten ist hier – und wenn es nach uns geht überall – unerwünscht und wird hier nicht geduldet. Wer sich im AZ anderen Menschen gegenüber sexistisch verhält, wird angesprochen und gegebenenfalls rausgeworfen. Wir wollen hier einen Schutzraum vor der sexistischen Normalität etablieren.
Gerade auf Parties kommt es gelegentlich zu ärgerlichen Vorfällen, die die persönlichen Grenzen der Betroffenen überschreiten und die wir deshalb als Übergriffe bewerten. Jede_Jeder besitzt die Definitionsmacht eine Grenzüberschreitung als solche zu benennen. Welcher Spruch oder welches Verhalten als Übergriff gewertet wird, ist die Entscheidung der betroffenen Person. Genauso wie sexistisches Verhalten, gilt dies auch für homo- oder transphobes oder rassistisches oder sonstiges diskriminierendes Verhalten. Das Konzept der Definitionsmacht beinhaltet weiter, nicht ohne Aufforderung der betroffenen Person Einzelheiten über die Vorfälle an die Öffentlichkeit zu tragen. Das ist der Grund, warum von unserer Seite so wenig Informationen herausgegeben werden.
Im AZ versuchen wir seit dem ersten Tag aktiv sexistischem Verhalten entgegenzutreten. Deswegen kommunizieren wir von Beginn an, dass wir höhere Maßstäbe anlegen als anderswo. Jede_r Besucher_in ist aufgefordert, die Grenzen der anderen Besucher_innen zu akzeptieren. Wir ermutigen, mit darauf zu achten, was im AZ passiert und nerviges Verhalten zu thematisieren. Dafür bieten wir unsere Hilfe an. Auf jeder größeren Veranstaltung gibt es deshalb Strukturen, die Euch unterstützen (wendet Euch bei Bedarf an die Theke).”
http://az-koeln.org/der-skandal-ist-der-sexistische-normalzustand/
Ein Wunder, dass sich da überhaupt jemand wohlfühlt. Ich persönlich käme mir fortlaufend überwacht vor. Aber wesentlich ist hier: Es gibt nur dann konkrete Beschreibung, wenn es um Ärgernisse und Probleme geht. Es gibt keine Konkretisierungen, wenn es um das geht, was man eigentlich herstellen will. Das zu Schaffende kann nur durch Negation erzeugt werden (KEINE Sexismus, KEINE Diskriminierung, KEINE blöde Anmache). Rein logisch gesehen enthält diese Negation das Negierte. Könnten diese Leute bestimmen, was sie wollen, hätten sie diese Negativfolie nicht zur Hand? Wahrscheinlich wären sie sprachlos.