Gute Gründe für das Gemäßigtsein?

In seinem Blog stellte mir Elmar die Frage, was denn der Reiz am Gemäßigtsein sei. Darauf will ich hier antworten.

Meine erste Antwort war, dass Mäßigung zunächst eine persönliche Präferenz ist: Man neigt vom Charakter her dazu, weniger radikal zu sein. Es ist also vorerst keine politisch-programmatische Haltung. Der Mäßigung liegt keine politische Theorie zugrunde. Im Maskulismus gibt es bislang wenig politische Theorie, so dass persönliche Präferenzen überwiegen.

Dennoch kann man einige Gründe für Mäßigung auch theoretisch fassen. Zentral dabei ist der Geltungsanspruch, den man für die eigenen Aussagen erhebt. Radikale vertreten einen tendenziell absoluten Wahrheitsanspruch. Sie behaupten, dass ihre Aussagen gültig sind und dass ihre Positionen nur in der vorliegenden Fassung gelten können. Der Gemäßigte bezweifelt seinerseits, dass ein derartiger Wahrheitsanspruch möglich ist. Er hält sein eigenes Wissen bzw. seine Meinung für vorläufig und prinzipiell revisionsbedürftig. Er bleibt darauf eingestellt, dass neue Informationen sein Weltbild korrigieren. Deshalb will er sich auch bereithalten dafür, diese neuen Informationen aufzunehmen und will sich ihnen nicht von vornherein erschließen.

Radikale Positionen tendieren zum Dogmatismus, ganz gleich, ob es sich um Alltagsmeinungen oder um wissenschaftliche Theorien handelt. Der wissenschaftliche Radikale operiert mit einem bevorzugten Theorieansatz und interpretiert alle neuen Phänomene nur in diesem Rahmen. Andere Ansätze lehnt er als falsch ab. Freilich kann auch auch der Radikale neue Informationen verarbeiten. Er ist prinzipiell ignorant. Aber diese Informationen führen vor allem zur Ausarbeitung seines Ansatzes, das anpassungsfähiger wird und mehr Phänomene “erklären” kann. Der Radikale stellt sein Paradigma allerdings nie grundsätzlich in Frage, er entwickelt es lediglich weiter.

Daraus folgt aus der Sicht des Gemäßigten auch eine starke Freund-Feind-Stellung. Der Radikale bekämpft alle anderen Ansätze als falsch und akzeptiert deren Argumente nur insoweit, als er sie theoretisch in seinem Sinne reformulieren kann. Diese starke Konflikthaftigkeit wiederum stiftet Beziehungen. Es gibt im Kreise der Radikalen dann die Unterscheidung derer, die zur in group gehören und derer, die als Gegner betrachtet werden. Diese Grenzlinie wird in jeder Diskussion stark betont. Abweichungen in den eigenen Reihen führen letztlich auch zur Ausgrenzung des Abweichlers. Sie werden bekämpft. Das erzeugt bei nicht wenigen Anhängern eines radikalen Ansatzes Anpassungsdruck, um die Gruppenzugehörigkeit nicht aufs Spiel zu setzen.

Aus der Sicht des Gemäßigten überwiegt an dieser Stelle der Zweifel. Er akzeptiert die Vorläufigkeit seiner Position. Er geht davon aus, dass die menschliche Kapazität zur Verarbeitung von Informationen beschränkt ist angesichts der tatsächlichen Komplexität der Wirklichkeit. Anthropologisch gesprochen ist eine Reduktion der Komplexität auf modellhaftes Denken unabdingbar. Nur so kann der Mensch überhaupt handeln. Er würde anderenfalls in endloses Grübeln verfallen. Nicht von ungefähr agiert der Mensch mit Hilfe von Normalitätserwartungen und von Deutungsschemen, mit denen er die Erscheinungen seiner Umwelt als typisch erfasst.

Der Gemäßigte ahnt jedoch, dass sein Modell immer unterkomplex ist und wichtige Teile der Wirklichkeit ausblendet. Sein Modell ist in seinen Augen immer korrekturbedürftig. Es gibt jenseits dieses Blickwinkels seiner Meinung nach Dinge zu entdecken, die auch überraschen. Daher lehnt er es ab, sein Modell zu verabsolutieren, um nicht künstlich zu erblinden.

Zudem sieht er, dass die Radikalisierung des Geltungsanspruches einer Sichtweise letztlich auch zu Gegnerschaften im zwischenmenschlichen Verhalten führen. Theoretischer Dogmatismus führt zur Bildung von Schulen, Gruppen, die sich gegen Vertreter anderer Modelle abgrenzen. Ein politischer Dogmatismus schafft ebenfalls Zirkel, im Internetdeutsch Filterbubble genannt. Diese Zirkel entwickeln über die permanente Betonung der Grenze schematische Bilder derer, die andere Haltungen vertreten. Je wichtiger ihnen die Grenze erscheint, desto stärker nehmen sie die Personen jenseits der Grenze nur noch als Gegner wahr. Die Überhöhung der Gegnerschaft führt zu einem unterkomplexen Bild dieser Personen: Sie sind nur noch jene, die sich irren, die eventuell gar bösartig sind.  Anstelle einer komplexen Persönlichkeit, die jedem Menschen eigen ist, treten einfache Feindbilder, die das Gegenüber tendenziell entindividualisieren. Jene Entindividualisierung legitimiert dann aber auch ein recht rücksichtsloses Vorgehen gegen die Gegner, da diese ja nur noch als Bedrohung, als Vertreter des Falschen gesehen werden und damit generell zu bekämpfen sind. Letztlich werden dann selbst Theoriedebatten stets zu Bestimmungen der Grenzlinie zwischen Freund und Feind. Solch ein Diskurs ist dann nur noch vordergründig wissenschaftlich. In Wirklichkeit dient er der Gegnerbekämpfung und neigt dazu, die Unterscheidung von wahr/falsch permanent zum Hauptthema der Diskussion zu erheben. In einer solchen Konstellationen haben Argumente keine Chance mehr, weil der Radikale jedes seinem Modell unverträgliche Argument nur noch als Ausfluss des prinzipiellen Irrtums oder der Falschheit seiner Gegner lesen kann.

Der Gemäßigte möchte sich solchem Lagerdenken entziehen und stellt stets in Rechnung, dass eine individuelle Persönlichkeit nie aufgeht in einer bestimmten politischen oder theoretischen Orientierung. Die Rollenfixierung auf Gegnerschaft erscheint ihm lebensfremd. Der politische Kontrahent hat auch andere Seiten, wo sich Gemeinsamkeiten finden lassen. Ein Mensch nimmt im Laufe eines Tages viele Rollen ein: Als Eltern, als Arbeitnehmer, als Mensch in einer bestimmten Region, als Kollege, als Fan eines Fußballvereins oder als Vertreter einer theoretischen oder politischen Haltung. Der Gemäßigte will diese Vielfalt nicht der Gegnerschaft in politischen oder theoretischen Fragen unterordnen, weil er die Folgen vereinseitigter Feindschaft ablehnt. Das ist zunächst vor allem persönliche Präferenz, weil man harte Konflikte ablehnt. Es ist aber auch eine theoretische Präferenz, insofern man sich nicht der Fähigkeit, überraschende Entdeckungen zu machen, berauben möchte. Genau diese Überraschungen bieten sich dem empirischen Forscher aber dann, wenn er sich theoretisch nicht zu stark vorentscheidet und er damit in der Lage bleibt, aufgrund von irritierenden Fakten sein Modell in Frage zu stellen. Das ist der Moment wissenschaftlicher Innovation, die nur dann gelingen kann, wenn die nachweislich vorhandene Tendenz des Wegerklärens von Widersprüchen aufgegeben wird.

Die verbleibene Frage lautet, ob eine so verstandene Mäßigung in Kompromisslerei versinken würde, wenn es um politische Programmatik geht. Ich denke, dass muss nicht zwingend so sein. Politische Professionalisierung setzt voraus, dass man Politik mehr als Geschäft denn als Frage der persönlichen Identität versteht. Der professionelle Politiker arbeitet nüchtern- kalkulierend an der Durchsetzung seines Interesses und kann nach Feierabend sehr wohl mit seinem Gegner ein Bier trinken. Sein Interesse ist praktischer Natur, es ist weniger die Abstützung seines Selbstverständnisses. So könnte man als politisch Professioneller hart und kompromisslos etwa für Väterrechte kämpfen, ohne dass man deren Gegner nur noch als Verirrte wahrnehmen muss. Das gelingt durch den nüchternen Blick auf das rein praktische Problem der Durchsetzung des Gesetzes, was es nicht erfordert, den Gegner umfassend zu bekämpfen. Der Kampf ist nämlich schon dann gewonnen, wenn man die Mehrheit für sein Gesetz bekommt. Es ist dann nicht mehr nötig, den Gegner zu überzeugen oder ihn grundsätzlich als Person auszuschalten.

 

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10 Responses to Gute Gründe für das Gemäßigtsein?

  1. lucifuge says:

    Die Frage ist nun, wer entscheidet, was “gemäßigt” ist und was nicht. Dem angeblich Radikalen direkt folgendes zu unterstellen:

    “Radikale Positionen tendieren zum Dogmatismus, ganz gleich, ob es sich um Alltagsmeinungen oder um wissenschaftliche Theorien handelt. Der wissenschaftliche Radikale operiert mit einem bevorzugten Theorieansatz und interpretiert alle neuen Phänomene nur in diesem Rahmen. Andere Ansätze lehnt er als falsch ab.”

    führt doch dazu, dass man den angeblich Radikalen direkt als diskussionsuntauglich darstellt. Der angeblich Gemäßigte hat jetzt hier etwas Tolles vollbracht:
    Er ist der Gemäßigte, der Bedachte, der Abwägende und der angeblich Radikale ist der, der engstirnig seine Meinung vehement verteidigt.

    Tja… So einfach geht das mit der Entkräftung von Meinungen. Das geht auch so: “Boah, ey! Du bist ja voll der Nazi! Mit Dir kann man gar nicht diskutieren!” Sowas machen z. B. Feministinnen gerne.

    Mir sind übrigens die letzte Zeit sehr viele begegnet, die sich die Fahne des “Gemäßigt-sein” umgehangen haben, aber eher das Gegenteil waren. Unter dem Deckmantel des “Gemäßigt-sein” lässt sich viel schöner diskreditieren….

    Ach ne, wat is dat schön… Im Endeffekt war Ghandi übrigens auch ein Radikaler. Würde man Ghandi aber unterstellen, man könne nicht mit ihm diskutieren?

    “Der Radikale stellt sein Paradigma allerdings nie grundsätzlich in Frage, er entwickelt es lediglich weiter.”

    Macht aber Dein Artikel hier nicht genau dies gegenüber den Radikalen? Ich meine ja.

    • suwasu says:

      Ich denke, es kann relativ einfach überprüft werden, wann eine Haltung radikal oder gemäßigt ist: Wenn Gegenargumente akzeptiert werden und wenn nicht gegen Fakten an Standpunkten festgehalten wird und wenn es nicht immer nur um Freund-Feind-Unterscheidungen geht, würde ich das als gemäßigt beschreiben.

      Bitte beachte auch, dass ich das von einer gewissen Härte in der Sache auf der Ebene der Politik unterscheide. Ich meine, dass z.b. mit gewissen Feministinnen da nicht zu diskutieren ist. Da sehe ich das durchaus so wie Elmar.

      Abgesehen davon sind das hier einfach nur lose Gedanken und noch kein fertiges Gebäude. Ich muss darüber noch weiter nachdenken.

      • Matze says:

        “Wenn Gegenargumente akzeptiert werden und wenn nicht gegen Fakten an Standpunkten festgehalten wird und wenn es nicht immer nur um Freund-Feind-Unterscheidungen geht, würde ich das als gemäßigt beschreiben.”

        Lol, dieses Verhalten erinnert mich an Politiker. Da war doch jetzt so ein Typ ein Jahr im Bundestag und hat da ein Buch drüber geschrieben oder so. Er meint, er wäre wirklich überrascht wenn mal ein Politiker auf die Rede eines anderen hin sagen würde: Ja, du hast mich überzeugt.

        OMG, die Radikalen sind wieder an der Macht!!!

      • suwasu says:

        Ja, so ein Feedback ist im Bundestag tödlich, da fliegt man bestimmt raus ;D

      • lucifuge says:

        Fertige Gebäude sind auch irgendwie… …fertig.

        Einstellungen und Meinungen sollten ja auch irgendwie fließend und nicht fest wie Gebäude sein. Da gebe ich Dir recht. 😉

      • suwasu says:

        Ich möchte auch mal anmerken, dass es mir nicht um den Streit zwischen Wolle und Wortschrank geht. Das ist für mich kein Thema.

        Und ja: Fertig wäre zwar irgendwie schön, denn das gibt ja Orientierung. Aber naja, langweilig wäre es auch und ich hätte auch Sorge, meinem Umfeld mit festgefügter, tatsachenresistenter Meinung auf die Ketten zu gehen. Kommt ja eh schon oft genug vor … ^^

  2. Pingback: Warum ich noch immer keinen Männerstreik am Horizont sehe | Geschlechterallerlei

  3. mitm says:

    @LoMi: bin gerade erst auf diesen Text aufmerksam geworden.
    Wirklich herausragend, großes Kompliment!

  4. Pingback: Wer hat Angst vorm Fundamentalismus? « jungsundmaedchen

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