Neurotische Empörungskultur

Die Twitterwelt ist um ein gate reicher, nämlich #fappygate. Was dort vorgefallen ist, findet sich ausführlich hier beschrieben. In Kurzfassung: Eine Twitterdiskussion eskaliert, als letztes Mittel wird gegen den männlichen Beteiligten ein Sexismusvorwurf erhoben, auf den dann etliche Damen und Herren ungebremst anspringen. Bei Sascha Pallenberg, dem “Beklagten”, kann man den Twitterdialog nachlesen, der zu diesem Vorwurf führte. Mein Urteil: Die den Vorwurf erhebende Dame (FrDingens) hat mit einer sexuell aufgeladenen Äußerung begonnen, auf die Pallenberg reagierte:

– Sie fragt, ob er sich einen darauf runterholen würde, sie zu dissen

– Er sagt ironisch, er habe es getan, damit sie das auch mal erleben könne

Letzteres sorgte dann für eine Art #aufschrei.

An dieser Geschichte werden drei Dinge sehr klar:

1. Viele Internetdiskutanten verstehen Twitter und Blogs immer noch nicht als öffentlichen Raum, in dem man sich so verhält wie im “analogen” öffentlichen Raum, nämlich zurückhaltend, distanziert, eher unpersönlich und sachlich. Es gehört zu den Ausnahmen, auf Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Meetings und Tagungen Leute persönlich anzugehen. Im Internet gehört es zum üblichen Ton. Das ist ein Verhalten wie in der Kneipe oder in der Peer Group und in meinen Augen ein Zeichen des Unvermögens, die Diversität auszuhalten, der man im Internet begegnet.

2. Der von FrDingens verkörperte “Feminismus” ist insoweit theoriefrei, als dass er keine definierten Begriffe hat. Schlagworte wie “Sexismus” unterscheiden sich kaum von anderen Plastikwörtern in anderen Bereichen wie “Qualität”, “sozial” und ähnlichen vagen, nicht auf konkrete Phänomene bezogene Konstrukte. Wenn man Begriffe formuliert, muss man Kriterien angeben, damit man entscheiden kann, welchen Sachverhalt sie beschreiben und welchen eben nicht. Ein Begriff, der alles beschreibt oder beliebig alles meinen kann, hat keinen Wert, weil er nichts sehen lässt. Er ist entweder subjektiv und meint, was sein Nutzer meint, oder er ist einfach überflüssig, weil er nicht hilft, bestimmte Phänomene sichtbar zu machen. Gerade via Aufschrei und andere Internetaktionen ist der Begriff “Sexismus” zu einem solchen Gummibegriff ohne deskriptiven oder erklärenden Wert geworden. Es wird alles vorstellbare als “Sexismus” gefasst, so dass man nicht mehr erahnen kann, was “Sexismus” eigentlich genau sein soll.

3. Diese Gummibegriffe schirmen neurotische Verhaltensweisen gegenüber Kritik ab. Warum ist das neurotisch? Dank der Beliebigkeit des “Sexismus”-Vorwurfes wird tendenziell sehr vieles, was einem nicht gefällt, damit gelabelt. In der Twitter-Gemeinde führt dies nicht zu einer sachlichen Debatte, sondern zu einer Empörungswelle. Das heißt, dass emotional reagiert wird und eine Äußerung, ein Verhalten emotional aufgeladen werden. Diese Empörung wird, wie bei fappygate sichtbar, durchaus gezielt geschürt. Menschliche Intelligenz ist die Fähigkeit, anstatt auf Reize bloß unwillkürlich reagieren zu müssen, eine geeignete Verhaltensweise auszuwählen und zwar nach Überlegung. Diese Fähigkeit des verzögerten Handelns wird durch Emotionalisierung außer Kraft gesetzt. Emotionalisierung fördert unmittelbare Reaktionen, spontane Urteile, spontane Aktionen gegen den vermeintlich Schuldigen. Im Rausch des Shitstorms wird gar nicht mehr hinterfragt, ob ein Vorwurf zutrifft oder nicht, sondern es wird erst “geschossen”. Die Auslöserin des fappygate erhält so Bestätigung für ihre Verhaltensweise und niemand bremst sie und bittet sie, zu überlegen, ob ihre Reaktion angemessen und sinnvoll ist.

Neurotisch ist das im Falle des fappygate deswegen, weil eigentlich harmlose Äußerungen zum Skandal aufgeblasen werden und als Symptom eines gravierenden gesellschaftlichen Problems erscheinen. Der vermeintliche Alltagssexismus der Entgegnung Pallenbergs wird als “Entgleisung” angesehen und als Zeichen der gesellschaftlichen Schieflage zuungunsten von Frauen. Das gelingt nur, weil man die Äußerungen in der Twitterei wörtlich nimmt, sie als Ausdruck einer Geisteshaltung deutet und ihnen damit ein unmäßig hohes Gewicht verleiht. Es kommt diesen Leuten nicht in den Sinn, dass Menschen in solchen Auseinandersetzungen nun einmal unbedachte Worte äußern und dass diese Unbedachtheit, entstanden aus dem Ärger, nicht repräsentativ sein müssen dafür, was einer tut und denkt. Pallenberg versucht in seinem Blog auch zu zeigen, dass sein Handeln an sich jeden Sexismusvorwurf widerlegt. Doch das ist den Twitterfrauen offenbar egal.

Üblicherweise müssen wir im Alltag solche Ausbrüche ertragen. Menschen streiten sich und werden dann auch emotional. Dann fallen auch mal böse Worte. Gewöhnlich sind Menschen im Alltag aber in der Lage, diese Worte zu vergessen und dem Anderen zu verzeihen, also ihm auch zuzugestehen, dass er im emotionalen Schwange überreagiert hatte. Derartige Elastizität erhöht die Kompromissfähigkeit und schafft die Voraussetzung, sich wieder zu vertragen. Umgekehrt ist die gnadenlose Abrechnung mit jedem bösen Wort ein Konfliktverstärker und eine Belastung für den so kritisierten Beziehungspartner.

Ich erlebe das als Vater, wenn mein Kind sich beklagt, dass es nicht ausrasten und wütend werden darf (in anderen Zusammenhängen und nicht bei mir zu Hause). Gleichzeitig hat mein Kind es ausdrücklich begrüßt, mir gegenüber ausrasten zu dürfen, ohne dass ich das als Majestätsbeleidigung behandle. Mein Eindruck ist, dass dies für die seelische Gesundheit besser ist, weil sich mein Kind nicht schuldig fühlen muss für einen Ausbruch.

Die Twitter-Feministinnen aber erheben einen Twitter-Ausbruch zu einem Skandal und erklären ihn zu schwerer Schuld. Auch scheinen sie Äußerungen mit etwaigem sexuellen Gehalt allzu großes Gewicht zu verleihen. Etwas “sexuelles” zu sagen, erscheint als schlimm, verwerflich, gefährlich, eine Bedrohung für Frauen. Dass das zu einer konservativen, sehr prüden Sexualmoral führt, liegt auf der Hand. Schließlich führt eine solche Übergewichtung dazu, dass Männer sich selbst kontrollieren müssen, jeden Anschein einer sexuellen Äußerung zu vermeiden versuchen und insofern dieses Thema gänzlich meiden. Über Sex kann man dann nur noch reden unter Aufsicht der Diskurswächterinnen.

Schließlich verhindert diese Empörungskultur, dass Frauen solche Äußerungen locker nehmen. Vielmehr fördert die Empörung, in einer sexuellen Äußerung gleich eine große Gefährdung ihrer seelischen Gesundheit zu sehen. Sie sehen dann Krankheit und Gefahr auch in harmlosen Ereignissen, programmieren sich damit auf dauernde Alarmstimmung und Abwehrhaltung. Das befördert eine eher negative Lebenseinstellung, die von Vorbeugung und Vermeidung geprägt ist und die Ängste provoziert auch in harmloseren Situationen. Genau das ist neurotisch, weil es die davon betroffene Frau letztlich auch hemmt und im Handeln einschränkt.

 

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42 Responses to Neurotische Empörungskultur

  1. me says:

    Ich hab mir gestern den Artikel bei Sascha_P durchgelesen und konnte kein #gate erkennen.

    Es ist das übliche: Ein Idiot sagt etwas, kann dann nicht damit umgehen, dass der andere souverän darauf antworteet und die Freunde des Idioten springen in die Bresche auf eine vergleichsweise idiotische Weise.
    Das ist Internet-Alltag, oder?

    Trotzdem hast du natürlich recht, dass es lohnt, sich die Mechanismen, die hier zum Tragen kommen, einmal genauer anzusehen.
    Den neurotischen Teil hast du gut skizziert.
    Meines Erachtens kommt dazu, dass Sasche und Dingens schlichtweg verschiedene Vorstellungen davon haben, was die Spielregeln für ein Gespräch sind, ja was “Gespräch” eigentlich bedeutet.

    Deswegen habe ich einen alten Artikel mal übersetzt. Mir hilft er beim Denken 🙂
    http://mundd.wordpress.com/2014/08/07/warum-man-mit-manchen-nicht-recht-reden-kann-uber-die-bedeutung-von-begriffen/

    Sascha wäre demnach modern und Dingens postmodern. Kein Wunder, dass das schief geht.

  2. “Der vermeintliche Alltagssexismus der Entgegnung Pallenbergs wird als “Entgleisung” angesehen und als Zeichen der gesellschaftlichen Schieflage zuungunsten von Frauen. Das gelingt nur, weil man die Äußerungen in der Twitterei wörtlich nimmt, sie als Ausdruck einer Geisteshaltung deutet und ihnen damit ein unmäßig hohes Gewicht verleiht.”

    Vermutlich fehlt da noch eine Voraussetzung – die, daß Feminismus bereits ein gesellschaftliches Machtinstrument darstellt.

    ” Mein Eindruck ist, dass dies für die seelische Gesundheit besser ist, weil sich mein Kind nicht schuldig fühlen muss für einen Ausbruch.”

    Würde ich aus meiner leider noch “erfahrungsfreien” Perspektive bestätigen.

    Ich war übrigens nie der Meinung, daß Emotionen in toto ein Intelligenzkiller sind – wenngleich das vorkommt z.B. wenn Othello in besinnungsloser Raserei Desdemona tötet. Vgl. auch hier:

    Dieser Punkt war auch immer in der Disput um die Mäßigung falsch.

    Das Papst-Zitat ist meiner Erinnerung übrigens irreführend: In Thomas von Aquins Summa Theologia, Secunda Secundae heißt es stattdessen: “Unde Gregorius dicit, in V Moral., quod tunc robustius ratio contra vitia erigitur, cum ira subdita rationi famulatur.” (Es sagt Gregorius in Moral V, daß dann die Vernunft gegen die Laster fester erhoben wird, wenn der Zorn vorbehaltlich der Vernunft dient.)

    • suwasu says:

      “Vermutlich fehlt da noch eine Voraussetzung – die, daß Feminismus bereits ein gesellschaftliches Machtinstrument darstellt.”

      Ja, das muss hinein. Der Feminismus ist dank seiner Institutionalisierung, Dinge wie “Sexismus” zu definieren. Weil der Feminismus kaum Kritik ausgesetzt ist, fehlt es an argumentativer Rechtfertigung dieses Konstrukts. Es gibt im Grunde für den Feminismus keine “Öffentlichkeit” wie die bürgerliche, der gegenüber die Herrschenden sich zu legitimieren hatten. Das liegt auch daran, dass es kein Äquivalent zu der bürgerlichen Forderung nach Rechtfertigung gibt.

      “Dieser Punkt war auch immer in der Disput um die Mäßigung falsch.”

      Mäßigung hat nach meinem jetzigen Empfinden unterschiedliche Bedeutung: Die einen beziehen das auf Kinderstube, die anderen auf die vermeintliche Notwendigkeit, Kompromisse auch mit Feministinnen zu schließen. Gerhard hatte das unlängst wieder ausgesprochen: R.U. sei doch eine von denjenigen, die mit uns diskutiere, daher solle man sie nicht angehen. Was fehlte, war ein Argument dafür.

      Zorn muss in der Tat nicht verkehrt sein. Schließlich geht es hier um einen echten Konflikt, der auch als Konflikt wahrgenommen werden muss und nicht nur als intellektuell-akademischer Disput über die Güte von Theorien. Im Zorn drückt sich auch die eigene Forderung und der eigene Wille aus. Insofern hat der Zorn seinen Platz.

  3. Nick says:

    Viele Internetdiskutanten verstehen Twitter und Blogs immer noch nicht als öffentlichen Raum, in dem man sich so verhält wie im “analogen” öffentlichen Raum, nämlich zurückhaltend, distanziert, eher unpersönlich und sachlich.

    Ich habe genau nicht den Eindruck: Wenn Frau Dingens beklagt, dass Sie in Wahrheit “vielleicht” (rhetorische Figur) der “Kollege” gewesen sei, dann sehe ich als Adressaten durchaus die Öffentlichkeit. Bereits dies lese ich als öffentliche Anklagedes Sexismus, da eine Frau – Frau Dingens selbst nämlich – unsichtbar gemacht werde. Das fügt sich wohl nahtlos in das Weltbild der Frau Dingens ein.

    Sascha Pellenberg hingegen adressiert zwar auch eine Öffentlichkeit, aber diese scheint mir tatsächlich eher derjenigen eines Kneipentresens zu entsprechen. Sascha Pellenberg (ich kannte ihn zuvor auch nicht) ist eben weitaus weniger öffentliche Person als Frau Dingens, er scheint tatsächlich nicht in Betracht zu ziehen, dass eine große Öffentlichkeit mitlesen könnte. Sascha Pellenberg zieht nun Frau Dingens so durch den Kakao, wie man jemand am Kneipentresen durch den Kakao ziehen würde: Nicht unbedingt beleidigend, aber durchaus ziemlich “Frech”.

    Natürlich fühlt sich Frau Dingens in ihrer Ehre als öffentliche Person angegriffen, sie weiß sehr genau dass sie tausende Follower hat. Da sie wohl wenig sachliche Argumente haben kann, greift sie auf ein altbewährtes feministisches Mittel zurück: Sie diffamiert Sascha Pellenberg auf einer sexuellen Ebene. Ich würde sagen, wir leben in einer Kultur, in der dies in aller Regel auch weitgehend in der Öffentlichkeit toleriert wird, sofern eine Frau einen Mann derart diffamiert. Es muss nur der Anschein gewahrt sein, dass die Frau “sich wehrt”. Hier hat allerdings Frau Dingens den Bogen wohl etwas überspannt (was sie offenbar auch instinktiv spürte: “Ich nehme die letzte Frage zurück”): Ihr Grundanlass war zu hahnebüchen, es war nicht zu übersehen dass ihre urspüngliche Anklage nicht haltbar war.

    Vermeintlich glücklicherweise lieferte Sascha Pellenberg anschließend eine “Steilvorlage”. Etwas, was sich scheinbar ohne Weiteres als Sexismus ausschlachten ließ. Sie hoffte, dass ihre größere öffentliche Meinungsmacht (“<20k Follower") dafür sorgen werde, dass man seine Sichtweise nicht wahrnimmt. Wer hört schon einem als "Wichser" geframtem Nerd ("Techblogger") zu? Auch hier wendet sich Frau Dinges also ganz gezielt an die "große" Öffentlichkeit. Mit dem Hinweis "<20k Follower" teilt sie offenbar mit, dass es sich um jemand handelt, der gefahrlos gemobbt werden kann.

    Was sie wohl nicht bedacht hat: Das Internet vergisst nichts. Weiterhin: Auch ein "Techbloger" mit "<20k Followern" hat, im Zeitalter des Internet, die Möglichkeit seine Sichtweise der Angelegenheit einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

    • suwasu says:

      OK, so gesehen wissen beide, dass sie in der Öffentlichkeit agieren und sie nutzen die Öffentlichkeit für sich. Deine Analyse kann ich aus diesem Öffentlichkeitsverständnis heraus teilen.

      Ich meinte mit “Öffentlichkeit” aber eher etwas anderes, nämlich eine Form des Umgangs miteinander. Ich behaupte, dass man in als “öffentlich” beschriebenen Räumen sich anders anderen gegenüber verhält, förmlicher, zurückhaltender. Die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat ist auch eine Unterscheidung in den erlaubten Verhaltensweisen. In der Öffentlichkeit siezen wir einander, in der Kneipe duzen wir. Gerade in städtischen öffentlichen Räumen wäre das Leben ungemein anstrengend, wenn es diese Zurückhaltung nicht gäbe. Das hat auch damit etwas zu tun, dass wir in diesen öffentlichen Räumen viele Dinge udn Personen akzeptieren, die wir in privaten Kreisen nicht mögen. In der Öffentlichkeit laufen mir allerlei Leuten über den Weg, deren Geschmack und Meinung ich nicht teile oder sogar verurteile, aber ich denke mir schlicht meinen Teil. Wenn jeder das alles laut äußern würde, wäre auf der Straße ein einziges Geschrei.

      So wie es auf Twitter der Fall zu sein scheint, weil die Leute dort allzu privat miteinander umgehen.

    • Nick says:

      ..es funktioniert hier eben etwas anders als in der konventionellen Presse: Frau Himmelreich konnte Herrn Brüderle recht einfach Framen .

      Man kann den Dialog ja nicht so ohne weiteres nachvollziehen, und es gibt auch kein äquivalentes Meinungsoligopol, welches Frau Dingens hätte bemühen können. Von daher lief ihr Rekurs auf ihre gesellschaftliche Macht ins Leere.

      In tradierten Medienkontexten hätte man Sascha Pellenberg wohl durchaus regelrecht öffentlich hingerichtet.

      • suwasu says:

        “Von daher lief ihr Rekurs auf ihre gesellschaftliche Macht ins Leere.”

        Allerdings. Erstaunlich, dass sie das nicht kalkuliert hat.

      • Nick says:

        Erstaunlich, dass sie das nicht kalkuliert hat.

        Finde ich nicht so sehr erstaunlich. Viele “Prommies” meinen, sie seien “jetzt Jemand” und entwickeln eine aristokratisch anmutende Überschätzung ihrer gesellschaftlichen Macht.

        “<20k Follower" spricht nmE Bände.

    • Nick says:

      Ich meinte mit “Öffentlichkeit” aber eher etwas anderes, nämlich eine Form des Umgangs miteinander. Ich behaupte, dass man in als “öffentlich” beschriebenen Räumen sich anders anderen gegenüber verhält, förmlicher, zurückhaltender.

      Prinzipiell hast du recht, nur scheinen mir diese Regeln für “Frauen, die sich wehren” tendenziell weniger zu gelten. Die “freche Pauerfrau” darf nmE tendenziell durchaus mit dem Framing “Wichser” arbeiten.

      • suwasu says:

        Ja, das kommt mir auch so vor. Sie darf “Wichser” sagen, sie darf sagen, dass es Männer sexuell aufgeilt, wenn sie etwas besser wissen. Sie darf einen Disput zwischen Männern als “Schwanzvergleich” bezeichnen oder gewisse Verhaltensweisen als Ausdruck genitaler Minderwertigkeitskomplexe. Das ist sehr verbreitet und gilt überhaupt nicht als sexistisch. Mir geht dieses Reduzieren aufs Genitale unglaublich (Vorsicht Kalauer ^^) auf den Sack.

        Nun gut, man kann das ja versuchen locker zu nehmen. Interessant daran ist, dass den Damen der Reduktionismus der ganzen Sache nicht aufgeht. Sie sind sehr schnell dabei, Männern zu unterstellen, sie würden Frauen nur durch die sexuelle Brille betrachten. Aber Frauen tun es gleichermaßen mit Männern, wenn sie von “Schwanzvergleichen” reden. Denn dieser Vorwurf meint ja, dass es nicht um die Sache ginge, sondern nur um “intrasexuelle Konkurrenz”. Diese Damen könnten also gut Christian sekundieren, aber sie ahnen es nicht einmal, dass sie biologistisch denken.

      • Nick says:

        Das ist sehr verbreitet und gilt überhaupt nicht als sexistisch.

        Dummerweise hat Frau Dingens ihren Blog nun offline gestellt. Ich meine mich zu erinnern, worunter sie in einem Machtkontext (“<20k Follower") artikulierte Sexuelle Bezüge ("fappst du dir einen") subsummiert.

    • TimL0ewe says:

      Zwei kleine Korrekturen:
      1. Der Tweet enthielt ein “>20k “, also “mehr als” (was sachlich auch korrekt ist)
      2. Pallenberg ist der Name

      Wobei meiner Meinung nach gerade der Tweet mit dem Sexismus des Techbloggers mit so vielen Followern ihr “Sündefall” in dem Streitgespräch war. Vorher ging es noch darum, wer zuerst über die Bedeutung von Youtube etc. für die heutige Jugend berichtete hatte. Mit diesem Tweet hat die gute Frau dann ihre Verbündeten zu den Waffen gerufen, um in die offene Flanke des Gegners (sein Antwort-Tweet) zu stoßen.

      Bei der Vorerfahrung in sozialen Medien von Frau Dingens muss man doch davon ausgehen, daß ihr die Konsequenzen durchaus hätten bewusst sein müssen. Ob das so beabsichtigt war, glaube ich nicht. Sie hat da wohl nicht nachgedacht bzw. sich auch selbst überschätzt.

      Selbstüberschätzung und durch Filterbubble geprägte Selbstwahrnehmung war wohl auch der Grund, dass z.B. Kollegin Wizorek (Aufschrei) den Organisatoren der re:publica vorschlug, Hr. Pallenberg zukünftig von der Veranstaltung als Vortragenden auszuschließen (Aussprache ist wohl keine Option für Aufschrei-AktivistInnen). Das wird aber wohl doch den Einfluss der Aufschreierinnen übersteigen.

      • Nick says:

        Der Tweet enthielt ein “>20k “, also “mehr als” (was sachlich auch korrekt ist)

        Stimmt. Insofern muss ich wohl einiges Zurücknehmen.

    • emannzer says:

      Starke Analyse, Nick.

      Wenn Frau nicht mehr weiter weiß, dann zieht sie sich eben aus oder ruft ihre Follower. Frau Dingens tat wohl letzteres und wir sind wohl alle froh, dass sie nun nicht auch noch nackt herumläuft …

  4. Nick says:

    Das ist sehr verbreitet und gilt überhaupt nicht als sexistisch.

    “Sexistisch” wird eben unter die falsche Dichotomie “DIE Macht” vs. “DIE Ohnmacht” gestellt. Damit “wehrt” sich “bloß” auch eine Kaiserin, die einen Obdachlosen als “Wichser” diffamiert: angeblich steckt ja da kein “strukturelles Machtungleichgewicht” dahinter.

    Unter einer .. etwas weniger bornierten Betrachtung gerade auch der Geschichte lässt sich leicht feststellen, dass gerade Mittelschicht/Oberschichtfrauen in ganz erheblichem Maße die Möglichkeit hatten, gerade männliches Sexualverhalten zu normieren und “Abweichler” teils lebensvernichtenden Sanktionen auszusetzen.

    Beispielweise die Südstaaten-Lynchmobs wären gar nicht ohne eine entsprechende weibliche Beteiligung gar nicht möglich gewesen.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Jesse_Washington

    • suwasu says:

      Das verstehe ich noch nicht, warum der Lynchmob einer weiblichen Beteiligung bedurfte.

      Abgesehen davon: Furchtbare Geschichte.

      ” dass gerade Mittelschicht/Oberschichtfrauen in ganz erheblichem Maße die Möglichkeit hatten, gerade männliches Sexualverhalten zu normieren und “Abweichler” teils lebensvernichtenden Sanktionen auszusetzen.”

      Ja, das habe ich sogar irgendwo schriftlich. Im viktorianischen England haben die Damen die Moralkarte gegen Männer ausgespielt und damit ausgenutzt, dass Frauen zu der Zeit als grundlegend tugendhaft galten, während Männer als verdorben angesehen wurden (wie heute ja auch noch).

      • Nick says:

        Das verstehe ich noch nicht, warum der Lynchmob einer weiblichen Beteiligung bedurfte.

        Ohne die Legitimation des Beschützens der unschuldigen und tugendhaften weißen Frauen vor dem “gefährlich triebhaftem” schwarzen “Halbtier” wäre eine derartige Entmenschlichung nmE gar nicht möglich gewesen.

      • Nick says:

        In 1899, a massive crowd of white Georgians tortured, mutilated, and burned a black man, Sam Hose, who purportedly had killed a white man in self-defense but had not committed the rape of the white woman whites accused him of. The crowd divided and sold his physical remains as souvenirs, Felton said that any “true-hearted husband or father” would have killed “the beast” and that Hose was due less sympathy than a rabid dog.[9]

        http://en.wikipedia.org/wiki/Rebecca_Latimer_Felton

        Felton war eine in den Südstaaten alles andere als unpopuläre Frauenrechtlerin.

      • suwasu says:

        Oha!! Das sind Dinge, die mir total neu sind. Also eigentlich überrascht mich das nicht wirklich, denn warum sollten diese Leute auch klüger sein als alle anderen. Aber krass ist das schon. Und gruselig.

        Ohnehin ist es ja eine Mär, dass Frauen friedfertiger seien. Ihre Verantwortung hätten sie in vielen Gelegenheiten wahrnehmen können. Argumentetechnisch können sie sich eigentlich nicht auf die Angst vor Bestrafung rausreden. Sie hätten gegen all die Gewalt und gegen jeden Krieg protestieren müssen. Aber würden sie auf die Angst plädieren, müssten sie ja zugestehen, dass vermutlich die meisten Männer auch nur aus Angst mitgespielt haben und eben nicht ihre vermeintlich männertypische Gewaltlust auslebten.

      • Nick says:

        Ihre Verantwortung hätten sie in vielen Gelegenheiten wahrnehmen können.

        In dem Fall ist es ja besonders krass, denn die Lynchmorde hatten fast durchgängig gerade den Vorwand des Beschützens der weißen weiblichen “Unschuld”. Das kann man wohl unmöglich aufrecht erhalten, wenn eine gewisse Mehrheit der Frauen nicht mitspielt.

        Es sei denn, man glaubt an die Mär der totalen Macht der Männer sogar über die Selbstdefinition der Frauen. Da kann man natürlich beliebig jegliche Verantwortung für irgendetwas bestreiten.

      • suwasu says:

        OK, da hast Du recht.

        Für gewöhnlich behauptet das der Feminismus ja schon. Die Frauen sind alle ferngesteuert und patriarchatsprogrammiert. Schlüssig ist das nie im Leben. Aber das ist ja das Problem: Mann steht kopfschüttelnd davor und wundert sich, wie selbstwidersprüchlich und irrsinnig da vieles ist. Diese Verwunderung kommt dann schon daher, dass man selber ja eigentlich noch an Einsicht und gute Argumente glaubt. Aber die zählen da halt nicht.

      • Nick says:

        Die Frauen sind alle ferngesteuert und patriarchatsprogrammiert.

        Das ist, nach meiner Interpretation, eben genau eine Rückbesinnung auf das viktorianische Weiblichkeitsbild: Die Frau ist von tiefster Reinheit angetrieben und genau deshalb nicht in der Lage, sich gegen die verdorbene männliche Perfidie zur Wehr zu setzen. Nach meiner Kenntnis war das spätestens in den 1920ern eigentlich überwunden, der Radikalfeminismus hat’s halt wieder ausgebuddelt.

        Gelungen ist ihm das durch massive “sex-panic”: Zunächst wurde Brownmiller massivst gehypt, direkt anschließend kam dann die Mißbrauchshyterie. In den USA scheint das Ganze ungehemmt weiterzutoben.

        Hat imho etwas sehr romantisches: Das einfache und unschuldige Volk gerät in die Fittiche finstrer Dämonen und wird so in tiefe Verderbnis gestürzt.

      • suwasu says:

        Ja, allerdings. Da steckt naive Romantik drin. Das ist das einfache Gut-Böse-Schema aus der Fantasy oder aus dem Hollywood-Film. Man nennt das auch manichäisch, diese strikte Einteilung. Es hat auch etwas religiöses, denn von dieser Einteilung lebt ja die Hoffnung, durch Sieg über das Böse Freiheit und Frieden zu erlangen. Erst dann wird das Leben gut, aber dann kann es eben auch gut werden. Wäre man selber anfällig für Konflike, Macht und Probleme, gäbe es diese Hoffnung nicht. Ein Heilsmythos ist das.

  5. Schoppe says:

    “Menschliche Intelligenz ist die Fähigkeit, anstatt auf Reize bloß unwillkürlich reagieren zu müssen, eine geeignete Verhaltensweise auszuwählen und zwar nach Überlegung.” Dabei glaube ich, dass dem Fappygate nicht mal ein unreflektiertes Reiz-Reaktions-Muster zugrundeliegt.

    Eher ist es umgekehrt: Die “Reaktion”, nämlich die aufrechte, luftschnappende, demonstrative, öffentiche Empörung, wird permanent bereitgehalten, und ihre Trägerinnen scannen die Umwelt nur noch beständig nach einem passenden Reiz ab, um loslegen zu können. Und was nicht passt (so z.B. die Äußerung Pallenbergs, mit der er ja Fr. Dingens nur ihren eigenen Ball zurückwarf), wird passend gemacht.

    Das gehört wohl auch, @ LoMi und Nick, zu den Überlegungen, dass sich hier eigentlich eine romantische Bewegung austobt: Der demonstrative Schauder angesichts des Schrecklichen wird eigentlich beständig herbeigesehnt und gezielt hergestellt. Gern gerade auch dann, wenn das Schreckliche im Moment gar nicht zur Verfügung steht.

  6. emannzer says:

    Starker Beitrag, den ich so subsummieren würde: Twitter und Feminismus ist so ziemlich das intolleranteste, was man seit dem Aufblühen der SMS-Kultur erleben musste.

    Ich lehne alle drei Paradigmen ab, weil sie u.a. Berufempörten nur eine Plattform bieten, sich auch mal wichtig fühlen zu dürfen. Und was man in 140 Buchstaben (geschätzt) nicht als Sarkasmus erkennen kann, dann wird man wohl im realen Leben auch nicht in der Lage dazu sein.

    Aber seit einem Grimme-Preis für #Aufkreischerinnen kann man sich dann wenigstens mal wichtig fühlen; sei es auch nur für einen Tag …

  7. Graublau says:

    Es ist besonders glaubwürdig, sich über eine sexuell aufgeladene Antwort aufzuregen, wenn man mit dem Ausdruck “sich einen darauf herunterholen” überhaupt erst eine sexuelle Komponente in den Schlagabtausch hineingebracht hat. Es nützt auch nichts, dass ich z.B. diese wenn auch derbe Ausdrucksweise im übertragenden Sinne gemeint interpretiere. Denn danach kann man sich kaum über eine ebenso deftige und nicht mehr so abstrakte Antwort beschweren.

    Interessant, dass auf die ursprüngliche Beleidigung (wie beim Aufschrei!) scheinbar nicht mehr geachtet wird. Denn seit wann gibt es gegenüber Männern den Freibrief, dass man ihnen bei einem hitzigen Wortwechsel einfach unterstellen darf, dass sie “sich einen darauf herunterholen”? Der Mann als ewig Triebgesteuerter, der auch jede Debatte ummünzt, um seine sexuelle Potenz (sich selbst gegenüber) unter Beweis zu stellen… wieso schreit dagegen eigentlich keiner auf?

    • suwasu says:

      Ja, in der Tat, das ist nicht schön. Es kommt leider sehr häufig vor: Wenn Männer etwas tun oder sagen oder wenn sie sich engagieren, wird das als Ausdruck ihres Triebes umgedeutet. Es hat dann alles entweder mit genitalen Minderwertigkeitskomplexen, intrasexueller Konkurrenz oder mit Lust zu tun. Es ist erstaunlich, wie stark viele Frauen diesen Reduktionismus pflegen.

      Würde man Adrians radikaler These folgen, dass sich Frauen sehr wenig für Themen interessieren, hieße das: Frauen können sich nicht vorstellen, dass es rein inhaltliche Gründe geben könnte und interpretieren deshalb alles als Ausdruck von Sex.

      • Graublau says:

        Das ist ein weiterer Punkt: Engagement, Interesse, Fleiß, Hingabe werden als “reiner Trieb” diffamiert. Interessanterweise wird diese Deutung ja auch als Punkt Pickup-Kritik verwendet.

        Sprich, wenn es Männer im Rahmen von Pickup behaupten, ist es ein reduktionistisches Weltbild. Kann man es in einer Diskussion gegen Männer verwenden, ist es ein “Argument”.

  8. david says:

    Wenn man mal erst bei der sprachlichen Eben bleibt, ist fappygate schon enorm f(r)appierend.

    Man hat das jetzt so abgespeichert, als hätte er eine Anspielung aufgegriffen, um mit einer sexuellen Beleidigung zurückzuschießen.

    Er sagt aber ja gar nicht epxlizit: Ich hole mir auf dich einen runter. Er bejaht im Grunde nur ihre rhetorische Frage (“Ja, hab ich”).
    Aus ihrem zunächst verniedlichten, kryptischen “sich einen fappen” macht sie anschließend höchstselbst “holt sich auf mich einen runter”.

    Vereinfach liest sich das so:

    – (Disput darüber, wer was von wem geklaut hat und ob sie eine zweitklassige Journalistin ist)
    – Bist du eigentlich ein perverses Dreckschwein?
    – Jo, müsste dir doch gefallen
    – Seht ihn euch an, das perverse Dreckschwein!

    Das erstaunliche daran ist wirklich, dass es eine Öffentlichkeit gibt, in der eine medienerfahrene Feministin auf den Gedanken kommen kann, dieser Pranger funktioniert!
    und das tut er ja sogar zum Teil. Mit Helga von MM, Aufschreib-Wizcorek und Antje Schrupp haben 3 der bekanntesten Netzfeministinnen die Diffamierung mitgetragen und in deren Filterblasen steht er quasi als Täter da.

    • suwasu says:

      Richtig, der Pranger funktioniert. Im Grunde wäre es unerheblich, wenn eine einzelne Person so reagiert und ihre eigene “sexistische” Bemerkung dem anderen als Sündenfall zuschreibt. Erheblich ist, dass es ein Umfeld gibt, dass diese Diskursstrategien akzeptiert und sich nicht fragt, ob das nicht vielleicht kindisch und überzogen ist. Gerade das ist erstaunlich, wenn man mal den Akademisierungsgrad der Öffentlichkeit bedenkt, also den von Journalisten und anderen Akteuren. Zu einem Großteil kommen diese Leute dann auch noch aus den Fächern, die es vor allem auf Persönlichkeitsbildung und Reflektion anlegen laut ihrem Selbstverständnis. Das Ergebnis ist dann aber ein x-gate, künstlich herbeigetwittert. Da fragt man sich schon irgendwann, was an unserer Hochschulbildung nicht stimmt.

      • Nick says:

        Gerade das ist erstaunlich, wenn man mal den Akademisierungsgrad der Öffentlichkeit bedenkt, also den von Journalisten und anderen Akteuren.

        Ich denke man kommt nicht umhin, eine “moral panic” am Werke zu sehen. (Gibt es für “moral panic” eigentlich einen Deutschen Begriff?) Das funktioniert natürlich bestens in einer Filterbubble, die sich eigentlich virtuell in den USA aufhält: Jaclyn Friedman heißt das große Idol beispielsweise der Wizorek.

        Dort wiederum muss man wohl von einem mehr als hundertjährigem Kontinuum sprechen. Es ist da wohl er Zweitrangig, was gerade “to eradicate” ist. In den 1950ern war es Homosexualität, in den 1980ern “ritual child abuse” und heute ist es eben die angeblich pervasive “rape culture”. Da hat es schon immer gereicht, wenn ein Mann irgendetwas auch nur sexuell deutbares sagt. Das wird dann ohne viel Federlesen sofort im Sinne des jeweilgen “Folk Devils” gedeutet.

        Ich erinnere nur an “Donglegate”, wo die Hochempörte Adria Richards kurz zuvor Peniswitze via Twitter gerissen hat.

        Allerdings scheint der Gegenwind dort erheblich zuzunehmen.

      • suwasu says:

        “Ich erinnere nur an “Donglegate”, wo die Hochempörte Adria Richards kurz zuvor Peniswitze via Twitter gerissen hat.”

        Oh, den Teil von Donglegate habe ich gar nicht mitbekommen!

        Ich denke auch, dass dieses Problem in den USA seinen Ursprung genommen hat.

        Für moral panics gibt es nur das Wort Moralpanik oder Moralunternehmertum. Möglicherweise wird aber noch zwischen beiden Konzepten differenziert.

        Mich erinnert das alles manchmal an Bilder vom Mittelalter, wo jemand aufgebracht auf jemanden weist und brüllt: Sie ist eine Hexe! In meinen Augen ist diese Empörungsmaschinerie irrational in dem Sinne, dass diese Diskurszirkel sachliche Argumentation offenbar gezielt meiden und stattdesssen stark auf Emotionalität setzen.

      • Nick says:

        Mich erinnert das alles manchmal an Bilder vom Mittelalter, wo jemand aufgebracht auf jemanden weist und brüllt:

        (Das war in der frühen Neuzeit)

        In der Tat, die Hexenverfolgung scheint wohl der “Prototyp” der Moralpanik zu sein. Ohne Heinrich Kramers “Hexenhammer” und dem damals erfunden Buchdruck wäre das kaum möglich gewesen.

        Man sagt, dass damals die kleine Eiszeit entscheidend war: Es gab plötzlich über Jahre hinweg verhagelte Ernten und große Hungersnöte, und niemand konnte sich erklären, warum.

        Ich suche immer noch den tieferen Grund dafür, warum Feminismus so eine Moralpanik auslösen konnte. Auch bei uns (im Westen) tobte ja die Mißbrauchshysterie in heute fast unvorstellbaren Dimensionen. War es vielleicht der Kalte Krieg und die damals durchaus real drohende Gefahr, dass die gesamte Menschheit ausgelöscht wird?

        Ist das, was wir heute an real existierendem Feminismus erleben dürfen eine Nachwehe davon? Oder hat man, ob der Unsicherheit der Globalisierung, eine klammheimliche Sehnsucht nach guten alten “Geborgenheiten” wie die weiblich Unschuld?

        Was nur treibt diese offenbar neoromantische Bewegung an?

        Man müsste es wissen, wenn man politisch was machen will. Gegen tiefe Sehnsüchte und Ängste kommt man ja mit Rationalität nicht an.

      • suwasu says:

        “Man sagt, dass damals die kleine Eiszeit entscheidend war: Es gab plötzlich über Jahre hinweg verhagelte Ernten und große Hungersnöte, und niemand konnte sich erklären, warum.

        Ich suche immer noch den tieferen Grund dafür, warum Feminismus so eine Moralpanik auslösen konnte.”

        Der rationale Kern findet sich in einer Heilserwartung, denn da alles konstruiert und gemacht ist, kann es auch umkonstruiert werden nach der Überwindung der Herrschaftsverhältnisse. Das schürt die Hoffnung auf ein paradiesisches Leben. Nun muss man nur noch den Grund für das Unbehagen suchen und den Grund dafür, warum diese Leiden nicht mehr mit modernen Mitteln der Wissenschaft und Technik behoben werden sollen.

      • Graublau says:

        @Nick

        Der Verweis auf Donglegate ist auch super. Merke: Es ist eben ein Unterschied, ob “die Guten” schlüpfrige Bemerkungen machen oder “der Gegner”. Wichtig ist, immer wieder an solche Fälle zu erinnern und vor allem die gesamte Situation zu schildern (also insbesondere diejenigen Teile, über die man sich genauso das Maul zerreißen könnte und die nicht geahndet werden – was dann ja die Doppelmoral der Protestierenden aufzeigt).

      • Graublau says:

        “Ich suche immer noch den tieferen Grund dafür, warum Feminismus so eine Moralpanik auslösen konnte.”

        Vielleicht geht’s uns im Gegenteil sogar zu gut. In welchen Ländern ist der radikale Feminismus besonders stark? Nicht da, wo es den Menschen besonders schlecht geht, sondern da, wo man die höchste Lebensqualität trifft.

        Ich behaupte frech: Hohe Lebensqualität ist eine Voraussetzung für solche Verirrungen. In Zeiten der Not haben die Leute gar keine Wahl dazu, sich zu beklagen, sondern müssen irgendwie da durch. Erst wenn man aus dem gröbsten raus ist, kann man anfangen, Forderungen zu stellen.

        Vgl. auch die Historie des Feminismus mit den reichen Bürgerfrauen, die erst, als sie nicht arbeiten mussten, für ihre politische Bewegung Zeit hatten. (Das zeigt auch die Zweischneidigkeit: Dinge wie Frauenwahlrecht sind eine gute Sache, ja aus heutiger Sicht sogar unverzichtbar für eine moderne Gesellschaft. Man kann solche “freie Zeit” also durchaus konstruktiv und positiv nutzen.)

      • Nick says:

        Der rationale Kern findet sich in einer Heilserwartung, denn da alles konstruiert und gemacht ist, kann es auch umkonstruiert werden nach der Überwindung der Herrschaftsverhältnisse. Das schürt die Hoffnung auf ein paradiesisches Leben.
        [..] Nun muss man nur noch den Grund für das Unbehagen suchen und den Grund dafür, warum diese Leiden nicht mehr mit modernen Mitteln der Wissenschaft und Technik behoben werden sollen.

        Mag gut sein, dass die gesellschaftliche Realität insbesondere in den USA als ein äußerst gnadenloses Rattenrennen empfunden wird (Das ist sie ja auch) Gerade von Heranwachsenden und jungen Leuten, die diese Politik ja scheinbar an den US-Unis tragen.

        Diese spezielle Heilserwartung scheint die einzige “Perspektive” zu sein, die dort “angeboten” wird, was in Kontinentaleuropa vielleicht dadurch abgemildert wird, dass es noch gewisse Reste an sozialdemokratischen Traditionen gibt. Insoweit hat die “Kulturmarxismus”-Verschwörungstheorie vielleicht sogar einen gewissen wahren Kern.

        Als Tendenz haben “wir” das ja auch: Unsere liebe Spezialdemokratie kapriziert sich auch lieber auf die “Überwindung der männlichen Gesellschaft”..

        Natürlich können sich die Eliten über eine solche “linke” Politik nur freuen: Man gibt ein paar Frauen ein paar schöne Pöstchen, auf dass sie eifrig mithelfen Männer zu disziplinieren. Sex-Panik ist dazu besonders geeignet, meine ich.

        Dass das “gemacht” ist würde ich nicht unbedingt behaupten, aber dass diese Entwicklung befördert wird denke ich durchaus.

        John Lauritsen (ja,ich weiß..) schrieb 1975:

        The Current Obsession With Rape

        The bourgeoisie is beating the drums for rape-hysteria, for censorship, for Law & Order, for bringing back the death penalty, and for a reversal of the gains made in this century for sexual freedom. According to the New York Times, rape has become the number one issue of the feminist movement, eclipsing such former concerns as legal abortions and equal pay for equal work. “Rape” is everywhere. The Ministry of Propaganda has flooded the marketplace with books, articles, radio and television shows on rape; with pamphlets, posters, badges, special newsletters, and bumper stickers on rape. The Federal Law Enforcement Assistance Administration (LEAA), a CIA/FBI type organization, has published a book on rape and made rape a major concern. According to an article in The Nation of 16 August 1975, “In Portland, Oregon a Rape Victim Advocate Program, funded by $124,132 from the Federal Law Enforcement Assistance Administration, has contributed to the quadrupling of rape reports in the area.” All over New York City, the walls and sidewalks are stencil spray-painted with such slogans as, ”CASTRATE RAPISTS!“.

        At one time I should have thought it paranoid to imagine these items as anything more than the work of sincere zealots. No more. I have learned about the deliberate employment of rape-hysteria in wartime — a weapon already highly developed by World War I — and about the psychological campaigns of the various secret police agencies. In his expose, Inside the Company: CIA Diary, Philip Agee describes techniques of a CIA propaganda campaign:

        “ECJOB. A team of Catholic university students directed by ECJOB-1 is used to distribute the station handbills… The team is also used for wall-painting, another major propaganda medium in Ecuador. Usually the team works in the early hours of the morning, painting slogans on instruction by the station or painting out and mutilating the slogans painted by communist or pro-communist groups.”

        And now, riding the crest of the wave, comes Susan Brownmiller with her book on rape. The book’s success is amazing, considering that on its merits alone it deserves little more than a toss into the nearest circular file. Against Our Will (hereafter AOW) has received favorable reviews in major publications; it is being promoted to the hilt in the bourgeois media; Brownmiller is appearing on talk shows all over the United States and Canada; the book is being hailed as a feminist classic and the “definitive work on all aspects of rape” (a claim made on the book’s jacket); and it has been chosen as a Book of the Month club selection. Even more amazing is the promotion of Brownmiller by two gay papers; her photograph appeared on the front cover of the 21 February 1976 Gay Community News (Boston), which reviewed AOW favorably, and two full pages of interview and review appeared in The Advocate of 10 March 1976. I say, “amazing”, because Brownmiller, as we shall see, is an enemy of gay liberation.

        In Gänze lesenswert:
        http://paganpressbooks.com/jpl/RAPE.HTM

        Es ist jedenfalls erstaunlich, wie wenig sich an dieser Kampagne geändert hat. Mit Brownmiller wurde offenbar in sehr kurzer Zeit _sehr_ tiefgreifend etwas festgeklopft.

        Man müsste sich tatsächlich mal die entwickelten Kriegspropagandatechniken zu Vergewaltigungshysterien anschauen.

      • Nick says:

        @Graublau:
        Vielleicht geht’s uns im Gegenteil sogar zu gut. In welchen Ländern ist der radikale Feminismus besonders stark? Nicht da, wo es den Menschen besonders schlecht geht, sondern da, wo man die höchste Lebensqualität trifft.

        Was Feminismus grundsätzlich betrifft denke ich, dass da was dran ist.

        Ich finde es allerdings erstaunlich, dass Feminismus offenbar Mitte der 1970er ziemlich krass “einen Schalter umgelegt hat”. Offenbar plötzlich tauchte – fast aus dem Nichts – das Thema “Sexuelle Gewalt” auf, welches fortan geradezu exzessiv geritten wurde. Scheinbar bis Heute, zumindest in den USA. Das war in etwa die Zeit der Ölkrisen, die (natürlich nicht alleine) schwere Rezessionen auslösten und dem seit den 1950ern anhaltendem Prosperitäts- und Fortschrittsglauben ein Ende setzten.

        In der engl. Wiki heißt es:

        Some feminists, most notably Alice Echols and Ellen Willis, held that after about 1975[2] most of what continued to be called “radical feminism” represents a narrow subset of what was originally a more ideologically diverse movement. Willis saw this as an example of a “conservative retrenchment”[21] that occurred when the “expansive prosperity and utopian optimism of the ’60s succumbed to an era of economic limits and political backlash.”[21] They label this dominant tendency “cultural feminism”[2] and view it as a “neo-Victorian”[48] ideology coming out of radical feminism but ultimately antithetical to it.[49] Willis drew the contrast that early radical feminism saw itself as part of a broad left politics, whereas much of what succeeded it in the 1970s and early 1980s (both cultural feminism and liberal feminism) took the attitude that “left politics were ‘male’ and could be safely ignored.”[50] She further wrote that whereas the original radical feminism “challenge[d] the polarization of the sexes”,[48] cultural feminism simply embraces the “traditional feminine virtues”.[48] Critics of cultural feminism hold that cultural feminist ideas on sexuality, exemplified by the feminist anti-pornography movement, severely polarized feminism, leading to the “Feminist Sex Wars” of the 1980s.

        http://en.wikipedia.org/wiki/Radical_feminism#Criticism

        Naja, wie immer wird es da zahlreiche Faktoren geben.

    • Graublau says:

      Genau das ist das faszinierende Element an diesem Fall (vgl. auch meinem ersten Kommentar). Hinzu kommt (worauf ich nicht eingegangen bin), dass diese Art des selektiven Verurteilens anscheinend bei einem (radikal-netz-)feministischen Publikum zu funktionieren scheint. Zum “inneren Einpeitschen” taugt es; alle anderen dürften eher irritiert sein. Insofern passt auch die Paralle zur medialen Wirkung des Aufschreis (auch wenn es längst nicht dessen Dimension erreicht).

  9. david says:

    Opferstilisierung beherrscht sie dank feministischer Schulung bestens. Bereits ihr dritter melodramatischer Rücktritt heute:

    http://frau-dingens.de/?p=3055

    Allerdings muss man sich natürlich auch fragen, inwieweit sie nun tatsächlich Opfer des Shitstorms gewesen ist. Inwieweit hier nun Gerechtigkeit geschehen und Verhältnismäßigkeit ist, vermag ich nicht zu sagen.
    Die Geister die sie nicht mehr los wurde, wollte sie schließlich selbst anrufen und auf Pallenheimer hetzen.

    • Nick says:

      Die Geister die sie nicht mehr los wurde, wollte sie schließlich selbst anrufen und auf Pallenheimer hetzen.

      Ja, das sehe ich auch so. Das rechtfertigt natürlich nichts, aber sie war wohl ganz klar diejenige, die dahingehend “an das Publikum” apelliert hat. Davor war es wohl eher eine 1:1 Auseinandersetzung.

      Aber dass eine Feminstin auch nur einen Hauch an Problembewußtsein dafür entwickelt “Sexismus öffentlich anzuprangern” kann man leider schicht nicht erwarten. Das ist sowas wie ein feministisches Naturrecht, ein historisch gründlich festgewachsener zentraler Baustein “widerständiger feministischer Identität”

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